Mit Hacki in der Theaterschänke
„Der schönste Platz ist immer an der Theke!“ Eine Karnevalskombo namens „Steingass Terzett“ spielte Anfang der Fünfziger mit diesem wunderbaren Gassenhauer die Säle voll und die Gläser leer. Die schönsten Lieder sind immer noch die, in denen der Text von vorne bis hinten stimmt. Die Theke gehört zum Fußball, wie der Schaum auf das Bier. Nicht selten werden hier Aufstiegsträume geboren, bullige Mittelstürmer zu Helden erkoren und Alemannia zum Sinn des Lebens ausgerufen. Du bestellst eine Runde und die Geschichten, die Du erzählst werden mit jedem Schluck besser – aber nicht nur Deine, auch all die anderen Geschichten die von den Schamanen der Nacht gläsern und bildhaft zum Besten gegeben werden.
Es gibt zahlreiche gute Theken-Geschichten, aber es sind die wenigen besten die es immer und immer wieder ans bierselige Storyboard schaffen. Ich habe mal einen Doppelpass mit Uwe Bein gespielt. Und was jetzt hier „schwarz auf weiß“ in einer Stadionzeitung eher langweilig bis trivial klingt, sollten Sie mal an der Theke hören. Denn dort werden Doppelpässe mit Weltmeistern gefeiert als gäbe es buchstäblich kein Morgen mehr. Ich kann mich bis heute gut an einen Abend in einer Aachener Theaterschänke erinnern, in der ich diesen Doppelpass einmal gestenreich und der Location angemessen AUF der Theke nachspielte und mir danach die komplette Kneipe applaudierte. Ich muss bis heute immer wieder an diesen Moment denken, wenn ich Uwe Bein in irgendeiner Talkshow von Italien 1990 oder Rostock 1992 reden höre. Unseren Doppelpass hat er in diesen Runden nie erwähnt, was ich ihm aber auch nicht übelnehme, würde es doch meine Geschichte irgendwie entzaubern.
Mein Sohn war neun Jahre alt als er bei einem Fußballturnier in Hannover einmal zwei Tore gegen Inter Mailand schoss. Als er am Abend danach in seinem Bett lag, schaute ich ihm in die Augen und empfahl ihm aufzuhören, da er seinen „Theken-Moment“ nun schon erlebt hätte und sicher nichts mehr dazu käme. Ich irrte mich zwar, weil er vier Jahre später einmal drei Minuten vor Schluss einen Elfmeter zum Aufstieg verwandelte, aber dennoch: Wenn es stimmt, dass wir alle im Leben Momente sammeln, dann sollten wir auch sorgfältig mit ihnen umgehen und nicht ständig auf den besseren warten. Zwei Tore gegen Inter Mailand – das ist Stoff für leere Zapfhähne.
Warum erzähle ich von solchen Theken-Momenten in einer Stadionzeitung? Nun – weil gerade rund um Alemannia so einiges passiert, was die Voraussetzungen für genau solche Momente schafft. Denn natürlich gehören beispielsweise Alemannia-Aufstiege und die eigene ganz persönliche Rolle darin unbedingt an den Tresen.
Ja, ja – ich weiß: Diese Saison steigen wir genauso wenig auf wie Uwe Bein noch einmal einen Doppelpass mit mir spielt. Aber zum ersten Mal seit ganz langer Zeit bleibt nach einer Saison der Kern einer Mannschaft am Tivoli zusammen. Das macht Mut und lässt wenigstens ein bisschen träumen – von diesem einem Moment im nächsten Jahr. Dieser Moment im letzten Saisonspiel, sagen wir, weil es so gut passt: gegen Rot-Weiß Essen. Dann, wenn David Pütz in der 93. Minute zum Einwurf an der Gegengerade steht, etwa zehn bis fünfzehn Meter von uns entfernt. Alemannia muss nur noch dieses eine Tor schießen, um in die Aufstiegsspiele zu kommen. Keiner im vollbesetzten Tivoli traut sich etwas zu sagen, einige resignieren sogar schon. Eine Stecknadel würde einigen Krach verursachen, fiele sie. Dann brülle ich so laut ich kann: „Wirf´ ihn in die Gasse zu Hacki!“ Und Pütz dreht sich um, sieht mich, nickt leicht verklärt und wirft das Leder tatsächlich in den Lauf des nach vorne eilenden Kapitäns, dessen akkurater Scheitel auch im Sprint keinerlei Regung zeigt. Und dann zieht Peter Hackenberg ab und der Rest ist Jubel – so wie zwei Wochen später als wir die Amateure des FC Bayern in der Relegation durch zwei weitere Hackenberg-Tore zurück in die Regionalliga Süd schicken. Guter Moment? Na, das will ich meinen!
Ich käme nicht mehr nach Hause, würde es tatsächlich so laufen. Die Theaterschänke würde mich und mein Peter-Hackenberg-Tattoo nicht mehr los. Wie gesagt: Der schönste Platz ist immer an der Theke. Und die schönsten Lieder sind immer noch die, in denen der Text von vorne bis hinten stimmt.
Diese Kolumne erscheint am Samstag, den 6.4 im Tivoli Echo des besten Fußballvereins der Welt.
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