Aufstehen am Rheinsteig
Mein Freund Stephan ist Frankfurter. Also eigentlich ist er Camberger, weil er da herkommt, was zwischen uns aber nie eine Rolle spielte. Als ich ihn kennenlernte war er Kölner, da er eben in Köln gemeinsam mit meinem Freund Alex, ursprünglich wie ich Dürener, heute Brühler, damals aber ebenfalls Kölner in einer Doppel-Garage wohnte und keine Party ausließ. Ich war damals zwischenzeitlich Aachener und wurde an Wochenenden zeitweise zum Kölner, um ebenfalls keine Party auszulassen und sonntags als Stockheimer völlig verkatert Fußballspiele zu verlieren. Das alles klingt ziemlich verwirrend, folgt im Grunde aber einem wunderbaren roten Faden, wie ich am vergangenen Wochenende mal wieder feststellen durfte, als wir uns alle – mittlerweile längst keine Kölner oder Dürener mehr – zum Wandern am Rhein trafen und dabei all die alten Geschichten wieder neu zu erzählen.
So wie ich im Herzen weiterhin Aachener bin, weil Alemannia es einfach nicht loslassen möchte, ist Stephan Frankfurter, weil sich sein Herz ausgerechnet die Eintracht ausgesucht hat. Als wir letzten Samstag so Seite an Seite den Rheinsteig rauf und runter stiegen, sprachen wir viel über Fußball und die Bedeutung, die das Spiel für uns hat. Er nahm mich mit auf seine wundersame Reise durch Europa, die er und seine Eintracht derzeit erleben dürfen. Und ich hörte begeistert zu, wie er von den steilen Rängen im San Siro, von den Schwingungen im Vélodrome und vom geschichtsträchtigen Stadio Olimpico erzählte. Vielleicht ist etwas dran, dass die Melancholie des Spiels nur der verstehen kann, der immer wieder aufsteht, so wie es erst letzte Woche die wunderbare Balboa-Choreo in Aachen außergewöhnlich treffend auf den Punkt brachte.
„Der Punkt ist nicht der, wie hart einer zuschlagen kann, es zählt nur, wie viele Schläge man einstecken kann und trotzdem weitermacht.“ Stephan ist schon oft mit seiner Eintracht aufgestanden, immer und immer wieder. Gerade erfährt er die Wiedergutmachung dafür. Auch deshalb kann er gut verstehen, wie es mir mit Alemannia geht – wir die so viel eingesteckt haben, dass selbst Rocky Balboa so langsam mal nach Bepanthen-Salbe fragen würde.
Es ist gar nicht so lange her, da war er ehrlich sauer auf seine Mannschaft als sie seinerzeit gegen den KSC bitter versagte, während ich mit so vielen anderen aus der zweiten Liga abstieg und mich damit für nach wie vor unabsehbare Zeit vom Profifußball verabschiedete. Weil er weiß, was leiden bedeutet, fragt er bis heute immer besorgt nach, wie unsere Chancen stehen und kennt sich erstaunlich gut aus, was die Regionalliga West betrifft. Und so gingen wir die Wanderwege an Orten wie Braubach oder Kestert vorbei und suhlten uns in langen Dialogen über unsinnige Aufstiegsregelungen, die Bedeutung von Fuat Kilic im Vergleich zu Adi Hütter sowie über die Magie von Halbfinal-Spielen. Letzteres betraf uns beide, wenn auch in verschieden bedeutsamen Wettbewerben. Denn während es bei ihm und der Eintracht am Ende nur um ein paar Milliönchen in der Europa League geht, wenn sich Benfica Lissabon in der nächsten Woche in Hessen vorstellt, stehen bei Alemannia (hoffentlich) zwei ganz entscheidende Spiele für die Zukunft des Vereins an – das Halbfinale und so Gott will, das Finale um den Bitburger Mittelrhein-Pokal. Wir träumten während wir gingen – von Finalspielen in Baku und in Bonn. Tagträume, die letztlich in einem Handschlag endeten, dass wir sie gemeinsam erleben müssten – koste es, was es wolle.
Und während wir so sprachen, wurde mir klar, dass die verfluchten Wirren der Kommerzialisierung doch wenigstens etwas Gutes mit sich bringen. Man rückt enger zusammen und wird etwas mehr divers, um im Jargon der Zeit zu sprechen. Denn natürlich bin ich balltechnisch mehr als alles andere Aachener und Stephan mehr als alles andere Frankfurter – so und nicht anders soll es sein. Aber dann gibt es Momente, da wird man als als Aachener zum FrankfurterBraunschweiger oder wen auch immer es gerade mehr oder weniger heftig trifft. Und auf der anderen Seite wächst plötzlich die Zahl derer, die wenigstens für ein paar Spielminuten zu Aachenern werden, weil sie wissen wie schwer man ohne Schwimmflügel in Scheiße schwimmt. Als wir Sonntagnachmittag auf den Wanderwegen ab 14 Uhr quasi minütlich auf unsere Smartphones schauten und die Spielstände mit dem Daumen runter aktualisierten, bekamen wir es mal wieder alle beide ganz dicke im „Balboa-Style“. Alemannia bekam seine Packung in Lippstadt, Eintracht ihre zu Hause gegen Augsburg. Als wir darüber sprachen, hörten ich leise Rocky Balboas Stimme aus dem Wanderweg vor unseren Füßen zu mir flüstern: „He Aachener, wie viele Schläge kannst Du einstecken?“ Leise flüsterte ich zurück: „He Champ – schon noch einige.“ Dann sah ich rüber zu Stephan, der munter die Chancen zur Champions League durchrechnete und dachte: „Immer wieder aufstehen – gar kein schlechtes Konzept.“
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