The Return of the Pokalstadt
Als wir vor rund einem Jahr aus diesem hässlichen weiten Rund in Bonn gingen, brach es einer zum Aufpassen eingeteilten Polizistin fast das Herz, als wir an ihr vorbeigingen – kurz nachdem dieser verteufelte Kölner Stürmer alleine auf das leere Aachener Tor zugelaufen war, um unseren Träumen von einem ausverkauften Heimspiel und der Rückkehr ins Berliner Olympiastadion den Garaus zu machen. Der nicht mehr ganz kleine Mann an meiner Hand weinte bitterlich und verdiente sich so das Mitleid der jungen Polizistin, deren Trost ihn aber auch nicht wirklich aufbauen konnte. Während sein großer Bruder diese erneute Niederlage fast stoisch hinnahm, verfluchte er Viktoria Köln feierlich für die nächsten vier bis fünf Jahrhunderte. Schon wieder hatte sein, hatte unser Verein ein Spiel verloren, von dem sein Vater vorher orakelt hatte, es sei eines dieser wichtigen Spiele – wichtig und wegweisend, weil es bei positivem Ausgang die Rückkehr in den wahrnehmbaren Fußball bedeutet hätte, in die Welt des DFB-Pokals. Dort, wo Runde für Runde jede Grätsche, jedes Tackling und jede Rettungstat deutlich eindringlicher gefeiert wird als jeder ausgeklügelte Vertikalpass, jede diametral abkippende Sechs oder jeder Steckpass zur hängenden Neun.
Keine Ahnung, wer zuerst geahnt und ausgesprochen hat, dass der Pokal seine eigenen Gesetze hat. In jedem Fall lag er richtig damit. Wer wüsste das besser als wir, die wir Aachen einst selbst zur Pokalstadt ernannten und hier einen Pokaltraum nach dem anderen beendeten? Erinnerungen, die so viel mehr wiegen als jedes Siegtor in der Nachspielzeit eines schnöden Liga-Spiels. Schwarz-gelbe Boybands, die zur besten Hyballa-Phase Mainzer Boybands als bessere Blaskapelle entlarvten, obwohl deren Gigs vorher noch im Aktuellen Sportstudio stattgefunden hatten. Hagere Aachener Nationalstürmer, die niederländische Agressivleader auf einem Bierdeckel schwindelig spielten und mit einer Selbstverständlichkeit einnetzten, für die auf dem heutigen Transfermarkt locker 65 Millionen Pfund fällig würden. Oder ghanaische Abwehrspieler, die selbst mit astreinen Volleyball-Pritschen ohne Elfmeter davonkamen und so eine ganze Stadt in eine unvergessliche Partynacht schickten, in der Tausende auf Tischen stehend von einem Endspiel gegen Bremen sangen.
Denkwürdige Nächte, denkwürdige Spiele – genau wie viele von denen, die letztlich verloren gingen. Wer könnte je vergessen, wie Mario Krohm nach seinem Strafstoß bereits abdrehte, unnachahmlich den rechten Zeigefinger in den Himmel reckte, während zeitgleich ein zweiter Ball – mitgebracht direkt aus der berühmten Waldhof-Schule – launig über den ehrwürdigen Tivoli-Rasen kullerte und so für eine erfolglose Wiederholung des Krohm-Schusses sorgte? Wer könnte je diese unsägliche Schlussphase gegen 1860 München vergessen, in der eine indisponierte Seeberger-Truppe nach einem 2:0 noch auf 2:3 stellte? Oder: Wer kann heute noch ernsthaft einen wie Thomas Müller leiden, nachdem er einst im Viertelfinale aufreizend beiläufig ins Halbfinale einzog? Bis heute fragt ich mich in schlaflosen Nächten, wie alles rund um Alemannia wohl ausgegangen wäre, hätte Tobi Feisthammel seinen Kopfball damals in die Maschen und nicht gegen den Schädel von Martin Demichelis gesetzt.
Vor gut acht Wochen verließen wir erneut dieses hässliche weite Rund in Bonn. Aber dieses Mal war alles anders. Auf dem Rasen und den Rängen feierte alles ausgelassen in Schwarz und Gelb. Die auf Jahrhunderte verfluchte Viktoria war zwar in die dritte Liga aufgestiegen, musste aber im Finale für einen unmotivierten Lokalmatadoren Platz machen, so dass es dieses Mal für Alemannia gar nicht mehr anders ging, als zurückzukehren in die Welt der gefeierten Grätschen, Tacklings und Rettungstaten. Der gar nicht mehr so kleine Mann an meiner Hand war ein gutes Jahr älter und abgeklärter geworden und dieses Mal war unsere Laune nach dem Schlusspfiff deutlich besser als noch im Jahr davor als uns sogar Polizistinnen trösten mussten. Kurz vor dem Spiel in Bonn war er zehn Jahre alt geworden – heute sieht er sein erstes DFB-Pokalspiel in ausverkaufter Hütte. Ich darf vorstellen – back on the pitch: Pokalstadt Aachen!
Anmerkung: Dieser Text wurde im Tivoli Echo zum DFB Pokal Comeback von Alemannia Aachen veröffentlicht.
Alemannia verlor zwar gegen Bayer Leverkusen etwas unglücklich, schenkte seinen Anhängern aber einen herausragenden Nachmittag.
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